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Die Erdhöhlen und Tunnelgänge von Kissing

Autor: PD Dr. habil. Peter L. Münch-Heubner

Unterirdische GängeDiese Gänge unter St. Peter bleiben bis heute das große Geheimnis und Rätsel in der Geschichte Kissings. Vier von ihnen gibt es an der Zahl.[1] Andere Zählungen in der Presse gehen auch von fünf aus, doch ein weiterer unterirdischer Gang unter dem Fuchsberg konnte nicht nachgewiesen werden.

Das „Wichtelenloch“ ist ein sagenumwobenes Erdloch bzw.  ein Erdstall, der mit der märchenhaften Erzählung von den Kissinger „Wichtelen“ in Verbindung steht.

Wie mythische Erzählungen berichten, lebten dort einst gutmütige „Berggeister, Wichtelmännchen“, „Wichtelen“ genannt, die in jeder Nacht, wenn „vom Kissinger Kirchturm her die Mitternachtsstunde schlug“ in die „Häuser von Kissing“ gingen, „um dort liegengebliebene Hausarbeit zu verrichten.“

„Die dankbaren Bewohner stellten den kleinen dienstfertigen Geistern Speisen und Getränke hin, welche sie jedesmal auch mitnahmen. Kein Mensch aber durfte diese Wichte sehen.“ Ein Müller aber sah sie „eines Nachts … von einem Versteck aus“ und so wurden sie „von dieser Zeit an nicht mehr gesehen.“[2]

Nicht von Ungefähr erinnert das Märchen hier ziemlich haargenau an die Geschichte von den „Heinzelmännchen“ in Köln – nur übernimmt hier die Rolle des Müllers die Frau eines Schneiders.

Man begegnet den Sagen über diese kleinen Helfer, über die Wichtelen, „im gesamten deutschen Sprachraum und in Schweden.“

Wie Adelheid-Hoechstetter-Müller schreibt, „entstanden“ „diese Märchen … in Gebieten, wo schon in frühester Zeit Kupfererze geschürft wurden.“ An manchen Orten reichen die Wurzeln des Bergbaus bis in die Römerzeit zurück.

In Zusammenhang gebracht wird die Sage von den hilfreichen Hausgeistern mit der mittelalterlichen Krise des Bergbaus, als viele Bergmänner, so die Autorin,  damals in den für sie typischen Bekleidungen – mit „Wams“ etwa oder mit „Zipfelmütze“ - verarmt in die Städte strömten, wo sie ihre Arbeitskraft billig zu Markte tragen mussten und dort in der Nacht „unliebsame Arbeiten verrichteten.“ Besonders im Bäckerwesen waren sie oft anzutreffen, wo sie die „Backöfen … des Nachts anheizten“. Bei Tage „verschwanden“ sie dann, „um sich zur Ruhe zu legen.“[3]

Für die Namensgebung der „Heinzelmänner“ im Ursprung kann eine solche Herleitung als sehr wahrscheinlich angenommen werden, da „der Heinz“ bzw. die „Heinzenskunst“ Begriffe aus der Bergbaugeschichte sind und dort ein „Röhrwerk“ bezeichneten, in dem in sehr arbeitsaufwendig und mühsam Wasser aus den Stollen an die Erdoberfläche geleitet wurde.[4]

Die Geschichte der Heinzelmännchen wiederum entwickelte sich im 19. Jahrhundert aus einer Reihe vieler anderer und sehr viel älterer Wichtelgeschichten, wie denen aus dem  Bergischen Land.

In jenen Tagen, in denen die frühmittelalterlichen Sagen entstanden, schienen nur Menschen, die „aufgrund ihrer kleinen Körpergröße“ in auch enge Schächte vordringen konnten, für die lebensgefährlichen Tätigkeiten in den Bergwerken für geeignet bzw. wurden diese für diese Arbeiten missbraucht. Sie passten dann auch in das Bild von den „Wichtelmännchen“, die die mitteleuropäische und frühmittelalterliche Sagenwelt schon seit den Nibelungen, die ihre Schätze in Berghöhlen gehortet haben sollen, prägten.[5]

Doch wie genau gelangten die „Wichtelen“ in die Kissinger Wälder? Adelheid Hoechstetter-Müller bringt dies in Zusammenhang mit der Geschichte der Augsburger Handelsfamilie der Meuting. Diese hatte zur Zeit der Herrschaft der Augsburger Bischöfe über das Land um Kissing 1447 Bischof Peter von Schaumburg das Burggelände von Mergenthau und das spätere Schlößchen abgekauft– und war gleichzeitig im „Erzbergbau“ vor allen Dingen „im Alpenraum“ in jener Zeit engagiert.

Doch sind wir jetzt hier in einer vollkommen anderen Zeit angekommen, als wir es eigentlich vorgehabt haben. Und: Kann aus alledem gefolgert werden, dass zu jener Zeit  - im 15. Jahrhundert  - Bergleute nach Kissing gekommen waren, die „aufgrund ihrer kleineren Körpergröße“ auch in schwer zugänglich, enge und niedrige Stollensysteme vordringen konnten? [6]

Damit würde auch die Zeit der Entstehung der Erdgänge in diese Zeit fallen. Da haben wir uns auf unserer Zeitreise dann doch ein wenig verirrt.

Die Beschreibungen der unterirdischen Tunnels in Kissing scheint in eine solche Richtung zunächst zu deuten. Schon beim Einstieg in das Wichtelenloch bzw. in den mit ihm verbundenen Katzensteig musste man sich, wie es in den, von Hanns Merkl zitierten Berichten aus dem 19. Jahrhundert hieß, durch eine „nur 0,30 m hohe Eingangsöffnung hinablassen.“ Über weite Strecken handelt es sich bei den Gängen um „Röhren“, die „kaum mehr passierbar“ waren – und sind. Charakteristisch für diese Gänge sind, wie Hanns Merkl weiter schreibt, wie bei den Tunnels unter dem Petersberg, „plötzliche, starke Verengungen der Seitengänge, die man nur mühsam auf dem Bauch durchkriechen kann, um weiterzukommen.“[7]

Dies alles erscheint ein in sich geschlossenes Bild im Sinne der Meuting-Theorie abzugeben. Doch war Kissing niemals Fundort von Bodenschätzen noch eine Bergbauregion. Eine Ansiedlung von Bergleuten im Ort oder in dessen Umgebung ist historisch nicht nachweisbar. Im Verlauf der ersten archäologischen Untersuchungen im 19. Jahrhundert schon wurde die alte Annahme, die Gänge „seien verlassene Bergwerke“ gewesen,  beiseite gelegt, gleichzeitig aber wurde die Vermutung geäußert, sie könnten „Zufluchts- und Rettungsgänge“ gewesen sein.[8]

Auch bei Adelheid Müller-Hoechstetter wird auf die Theorie eingegangen, derzufolge die Gänge „möglicherweise... Teil eines größeren Projekts zum Schutz der Bauern und ihrer Herrschaft vor feindlichen Überfällen und Feuersbrunst oder auch zur sicheren Lagerung von Vorräten“[9] gewesen sein können.

Der Erdstall unter dem Petersberg wurde zuletzt im Jahre 2014 untersucht.  Leiter der Untersuchung war der Geologe Dr. Markus Hilpert, Privatdozent an der Universität Augsburg. Er war fasziniert von der Konstruktion der Gänge: „Die Tunnels verlaufen nicht geradlinig. Sondern sie haben starke Höhenunterschiede und bilden extreme Engstellen, die sogenannten Schlüpfe. Selbst ein schlanker Mann kann hier nur noch durchrobben.“ Da die Tunnelsysteme sehr einsturzgefährdet sind – und so auch auf Weisung des Bürgermeisteramts verschlossen bleiben – wurde die Gänge an vielen Stellen mit der Hilfe  eines Wichtels der Neuzeit, mit der Hilfe eines kleinen Roboters vermessen. Somit sollte auf der Basis der mit „neuen technischen Geräten“ gewonnenen „Messdaten“ am Ende „ein genauer dreidimensionaler Lageplan“ entstehen.

Hilpert steht den bereits aufgeführten Erklärungsmustern bezüglich Sinn und Zweck der Gänge skeptisch gegenüber: „Als Versteck taugt es nicht, die Kammern sind zu klein, für die Flucht auch nicht, denn viele Gänge enden in einer Sackgasse und als Lager sind die Gänge zu feucht.“[10]

Wand in den unterirdischen GängenSomit bleibt letztendlich tatsächlich die Erklärung, die Hanns Merkl in seinem Kirchenführer schon angedeutet hat. Es bleibt die Vermutung, dass es sich hier um Zeugen für eine „heidnisch-kultische Bebauung“ handelt.[11]

Doch dann würden die Spuren auf einen früheren Zeitraum hindeuten, denn im 10. Jahrhundert war Bayern weitgehend christianisiert.

Schon dem „königlichem Ingenieur Hauptmann“ I. Illing waren bei seinen Untersuchungen im Jahre 1853 all jene Charakteristika des Petersberg-Tunnels aufgefallen, die auch späteren Archäologen und Geologen ins Auge stachen. Er erstellte „Profile der unterirdischen Gänge in Kissing“[12], die bis heute von Bedeutung sind und die auch in den Untersuchungen unter Markus Hilpert in den Strukturbildern ihre Bestätigung fanden[13].

Mit der Hilfe des vom Forschungsteam angewandten „3D-Laserscannings“ lassen sich heute im Gegensatz zu früher auch relativ „empfindliche und komplexe Strukturen“ erfassen und untersuchen, denn mit dieser „berührungslosen“ und damit „zerstörungsfreien Vermessungsmethode“ können Forschungsergebnisse erzielt werden, ohne dass die sensiblen Höhlenstrukturen dabei Schaden nehmen. Dabei weist auch das „3D-Modell“ von heute auf die Grundstrukturen der Gänge hin: „So zeigt beispielsweise der größere Seitengang neben einem deutlich ausgeformten Sitzbogengewölbe auch gegenüberliegende Einkerbungen, die immer wieder als Sitznische gedeutet werden.“[14]

Doch wozu dienten diese ´Sitznischen´?

Sie könnten „Nischen“ gewesen sein, die wie Hanns Merkl u.a. vermutet, „zum Ausweichen, Ausruhen, Wachehalten oder aber auch für Überraschungsangriffe auf Eindringlinge“ gedacht gewesen sein konnten. Daneben finden sich in den Gängen aber auch „rußgeschwärzte Nischen, die zum Aufstellen von Lampen gedient haben“. Schon früh wurde vermutet, dass man hier „die unterirdischen Überreste altheidnischer Tempel“ vor sich habe.[15]

Als Ergebnis seiner Forschungen im Petersberg hielt Illing 1853 fest:

„Jedenfalls möchte außer Zweifel sein, dass die Gänge unter dem Petersberge einst zu gottesdienstlichen Verrichtungen dienten und in Verbindung standen mit Gebäuden  … auf dem Plateau, von denen die alte Kapelle als ein späterer Ueberrest angesehen werden kann.“[16]

Weisen die Spuren doch in die große Zeit der Christianisierung Bayerns?

Auf der Grundlage solcher erster Forschungsergebnisse begründete sich auch eine weitere Meinung, nämlich die, dass es sich „bei der heutigen Kapelle nur noch um den Chor einer ehemals größeren Kirche“ handele, „deren Langhaus in der Säkularisation abgerissen worden sein soll. Den Chor hätten die Kissinger gerade noch vor dem Abriss retten können.“

„Bodenuntersuchungen“, die diese Theorie hätten bestätigen können, „blieben jedoch ohne Ergebnis.“[17]

Und würde die Abriss-Theorie im Zusammenhang mit der Säkularisation stimmen, so hätte man die bis dahin größere Kirche auf dem Mergethauer „Deckenfresko des Vitus Rigl (Riegl) in der ehemaligen Kapelle“ des Schlosses aus dem Jahre 1769, die einen malerischen Blick auf den Ort gewährt, erkennen müssen. Der Betrachter sieht auf diesem Bild, das mehr als vier Jahrzehnte vor der Säkularisation gemalt wurde, aber das kleine Peterskirchlein als jene Kapelle, wie sie den Besucher bis heute begrüßt.[18]

Die von Irmgard Hillar veranlassten Untersuchungen führten zu dem Ergebnis, dass bei der Kirche selbst von einem „Erstbau vor dem Ende des 1. Jahrtausends“ auszugehen ist[19].

Die genauere Datierung bleibt schwierig. Hilpert et. al. schreiben in ihrem Abschlussbericht, eine sehr große Zeitspanne für die mögliche Konstruktion für den unterirdischen Gang im Petersbergl umschreibend, so auch:

„Nach der Untersuchung gleichartiger Anlagen in Tschechien wird heute vermutet, dass sie wohl zwischen der Spätantike[20] und dem Mittelalter in den Untergrund getrieben wurden. Gerade in der Oberpfalz und im Bayerischen Wald wurden hunderte dieser, im Volksmund als Schrazellöcher bezeichneten künstlichen Höhlen entdeckt. Aber auch in den weiter östlich und südöstlich angrenzenden Gebieten (Waldviertel, Wienerwald, Bucklige Welt etc.) sind diese unterirdischen Anlagen bekannt. Nach Westen nimmt deren Vorkommen rasch ab, sodass die Erdställe in Kissing als vom Hauptverbreitungsgebiet peripher situiert zu bezeichnen sind. Im gesamten Regierungsbezirk Bayerisch-Schwaben sind bislang lediglich 41 Erdställe entdeckt worden, drei davon in und um Kissing.“[21]

Sind die Erdställe also doch älter als angenommen? Hilpert indes scheint in seiner Gesamteinschätzung dem 10. Jahrhundert letztlich deutlich zuzuneigen. Doch wenn es tatsächlich das 10. Jahrhundert sein sollte, in dem die Tunnelsysteme entstanden sind, scheidet vor dem Hintergrund der Geschichte der Christianisierung Bayerns und Schwabens die Erklärungsvariante von der heidnischen Kultstätte wiederum aus. Alles bleibt letztendlich ein Geheimnis.

 

Verwendete und weiterführende Literatur


[1]Gespräch mit Hanns Merkl, geführt am 9.8.2017.

[2]Die Wichtelen, Text nach Ignaz Steinhardt, in: Kissing. Geschichte und Gegenwart, S 162.

[3]Wichtel oder Heinzelmännchen in deutschen Sagen, Kommentar von Adelheid Hoechstetter-Müller, in: Geschichte der Hofmark Kissing an der Paar. Eine lokalhistorische Studie von Matthias Graf, Vikar. Neu bearbeitet und herausgegeben von Adelheid Hoechstetter-Müller, Augsburg 2008, S. 50f.

[4]Bayerische Staatsbibliothek: Münchener Digitalisierungszentrum: Digitale Bibliothek: Adelung – Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, 2. Der Heinz. Zu finden unter: http://lexika.digitale-sammlungen.de

[5]Hoechstetter-Müller, Adelheid, S. 50 u. S. 52.

[6]Hoechstetter-Müller, Adelheid, S. 52,.

[7]Merkl, Hanns, Die unterirdischen Gänge von Kissing, S. 142 ff.

[8]Zu diesen ersten Untersuchungen siehe bei Merkl, Hanns, Die unterirdischen Gänge von Kissing, S. 142ff.

[9]Hochstätter-Müller, Adelheid, S. 52.

[10]Uraltes Tunnelsystem in Kissing. Wer hat die Gänge gebaut? Friedberger Allgemeine, 2.2.2014., sowie: Die Erdställe: Das Geheimnis der alten Gänge unter Kissing, Friedberger Allgemeine, 10.7.2017.

[11]Merkl, Hanns, Kirchen und Kapellen der Pfarrgemeinde Kissing, S. 3.

[12]Siehe hierzu die Lageskizze  bei: Illing, I.: Beschreibung und Aufnahme der unterirdischen Gänge in Kissing, Friedberg 1853.

[13]Hilpert, Markus/Mahne-Bieder, Johannes/Schreiegg, Maximilian, Thanheiser, Selina: Der Erdstall im Kissinger Petersberg. Ergebnisse eines aktuellen 3D-Laserscanings, in: Denkmalpflege Informationen, Nr. 162, November 2015, S. 54 u. S. 55.

[14]Hilpert et. al, S. 56

[15]Merkl, Hanns, Die unterirdischen Gänge von Kissing, S. 144 u. S. 146,

[16]Illing, 1853, S. 8.

[17]Merkl, Hanns, Kirchen und Kapellen der Pfarrgemeinde Kissing, S. 4.

[18]Siehe dazu die Abbildung im Heimatbuch „Kissing. Geschichte und Gegenwart“, S. 131.

[19]Merkl, Hanns, Kirchen und Kapellen der Pfarrgemeinde Kissing, S. 3f.

[20]Das beschreibt in Ungefähr den Zeitraum von zweiten/dritten bis zum sechsten/siebten Jahrhundert.

[21]Hilpert et. al., Der Erdstall im Kissinger Petersberg, S. 54. Zur Problematik der Zählung siehe oben.

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